„Betone doch mal mehr!“ 
Das Stichwort ‚Betonung‘ habe ich gewählt für den Einstieg in meine Session rund um Stimme, Sprechen, Radio, Textarbeit. Das Session-Thema war aus meiner Sicht zu allgemein gewählt, aber es gibt eben auch viel zu wissen und zu erfahren rund ums Sprechen, da wollte ich nicht nur ein Detail, wie z.B. die Stimme, rausgreifen. So eine Session kann ja sowieso immer nur einen kurzen Einblick liefern in ein Fachgebiet. Einstieg also mit dem Betonen, denn wenn man dazu ein paar Regeln kennt, ist schon viel gewonnen. Weil der Begriff gern ungenau verwendet wird, erst die Definition vorweg. Was es NICHT heißt: Damit fängt es oft schon in der Schule an, wenn ein Kind langweilig liest, weil es den Text noch nicht erfasst hat: „Beton doch mal mehr“. Und das ist unglücklich gewählt, denn in dem meisten Fälle ist eigentlich gemeint: „Mach doch mal deutlicher, wer spricht! Bring ein bisschen Leben in Deine Stimme, lies nicht so monoton, versuch die Stimmung zu erfassen“ – Zack! Bisschen viel verlangt, das alles umzusetzen mit der mageren Anweisung: „Beton doch ein bisschen mehr!“. Trotzdem hab ich das noch selbst in Erinnerung und meine Kinder haben es jetzt auch wieder aus dem Deutschunterricht erzählt.
Eigentlich ist es mit dem Betonen genau umgekehrt: weniger ist mehr. Und den meisten Lese-Neulingen sage ich: „Beton doch mal weniger!“ Am besten nämlich nur eine Betonung pro Sinneinheit.
Betonung / Intonation
Betont wird das Wort, das neu ist und am meisten Information trägt.
BOMBE gefunden.
= Betonung liegt auf Bombe. Nachricht A: im Generalanzeiger Tag 1, Am Bahnhof wurde eine Bombe gefunden, bis dato hat noch niemand von dem Teil gewusst.
Bombe GEFUNDEN.
= Betonung liegt auf gefunden. Nachricht B: Am Vortag gab es einen Bombenalarm, die Polizei hat den Bahnhof abgesperrt. In der jetzigen Nachricht ist der Fund wichtig, von der Bombe haben wir ja schon gestern gelesen.
„Das ist mein neuer Hut“ kann man sehr unterschiedlich betonen – spannende Session von @4ohren #bcbn18 pic.twitter.com/ToIDpXw8o2
— Benjamin O’Daniel (@benodaniel) 24. Februar 2018
Grundsätzlich könnte also auf (fast) jedem Wort die Hauptbetonung liegen, der Kontext entscheidet erst, welches die richtige Lösung, ist:
Betone ich HUT, ist klar, dass ich nicht die Mütze meine.
Betone ich NEUER, erkläre ich, gleichzeitig, dass ich irgendwo noch einen alten habe.
Betone ich MEIN, streiten wir grade, du hättest den wohl auch gern?
Betone ich IST, hat vorher jemand behauptet, er sei es NICHT.
Betone ich DAS, hört man den ausgetreckten Zeigefinger: DAS da ist meiner, nicht der da drüben!
Betont wird durch folgende Mittel:
- Lautstärke
- Den Melodieverlauf (das betonte Wort bekommt eine „Klangspitze“)
- Möglich ist auch eine Zäsur (kurze Pause) vor dem Wort
- Oder/und eine Dehnung der betonten Silbe
Und betont wird natürlich auch durch nonverbale Mittel.
Körpersprache
Ein lächelndes Gesicht – unabhängig vom Inhalt – macht den Stimmklang heller und offener, die Stimme kommt weiter nach vorn anstatt in der Kehle hängenzubleiben. Beim Text Lesen also unbedingt die Mimik mit einsetzen, egal, ob es jemand sieht oder nicht. Wie soll man Stimmungen vermitteln, wenn man sie selbst nicht nachspürt. Und wie soll man sie spüren, wenn man den Körper nicht dazu einsetzt? Also alles einbringen: Gestik, Mimik, Haltung, Schultern…
Jetzt Session Stimme/Schpechn bei Almut Schnerring @4ohren #bcbn18 pic.twitter.com/MHVKqiu1Za
— Ursula Fuchs (@ursula_fuchs) 24. Februar 2018
Subtext
Zweiter wichtiger Aspekt bei der Vorbereitung eines Textes: Wie soll das Publikum die Botschaft einordnen?
„Sie hat einen neuen Pullover“
Ist das was Gutes? Soll ich mich freuen? Oder ärgern? Ist das unverschämt, weil sie mein Geld dafür benutzt hat? Soll ich erleichtert sein, weil sie seit 2 Jahren denselben trägt? Oder neidisch, weil ich auch mal wieder einen neuen… ? Die Vorleserin / der Vorleser interpretiert den Text und erleichtert damit den Zuhörenden das Verständnis. Fehlt der Subtext, muss das Publikum sehr viel mehr leisten, um zu verstehen und seine Bereitschaft, sich auf das Hören einzulassen, wird früher vorbei sein.
Session „Stimme, Betonung, Sprechen“ mit @4ohren #bcbn18 pic.twitter.com/oWn9h5L95O
— CharmeundMelone (@charmeundmelone) 24. Februar 2018
Stimme
Der Stimmklang entsteht aus dem Zusammenspiel der Stimmlippen, der Atmung, der Körperhaltung und der muskulären Gesamtkörperspannung. Auch die Stimmung beeinflusst unseren Stimm- und Sprechausdruck.
Die Stimme wird als Ausdruck der Persönlichkeit empfunden, sie ist unsere Visitenkarte. In der üblichen Erziehung findet sie so gut wie keine Beachtung, obwohl sie in der Kommunikation eine nicht zu unterschätzende Wirkung ausübt. Jeder Mensch wählt sich (wenn auch unbewusst) seine Stimme selbst. Neues Stimmverhalten kann nicht nur über eine neue Technik erlernt werden, das persönliche Auftreten als Ganzes muss sich verändern. Deshalb ist es zunächst einfacher, neues Stimmverhalten in Übungssituationen anzuwenden; der Transfer in das Alltagssprechen dagegen braucht Zeit.
Die eigene Stimme
Die meisten Menschen glauben, eine ganz andere Stimme zu haben als die, die sie auf Audioaufnahmen (z.B. Anrufbeantworter) von sich hören. Abgesehen von Veränderungen durch die Audiotechnik (schlechtes Mikrofon, schlechte Lautsprecher u.ä.) klingt unsere Stimme für andere tatsächlich anders, weil der Schall nur durch die Luft geleitet wird. Knochenleitungen und die Resonanz des eigenen Körpers führen dazu, dass wir unsere eigene Stimme ‚von innen‘ ganz anders wahrnehmen als sie für andere ‚von außen‘ klingt.
Weitere Punkte, die kurz angesprochen wurden:
Atmung:
Bauch- statt Hochatmung, Zwerchfell-Muskel arbeitet besser/leichter im Stehen als im Sitzen, Atem einteilen (Pausen planen, Zeichen setzen im Text)
Haltung und Muskeltonus:
Knie locker? Schultern tief? Schultergürtel lockern, dehnen…
„Sprechwerkzeuge“ aufwärmen: Kiefermuskel lockern, „Das Dach putzen“ (Zunge am Gaumen entlang vor + zurück bewegen), Zähne mit der Zungenspitze abtasten, Wangen einsaugen + aufblasen, Lippen einsaugen + spitzen + spreizen, Zungenbrecher (über)deutlich sprechen,
Resonanz:
– schwingt der Körper mit, klingt die Stimme voller und angenehmer, ist kräftiger und trägt weiter
– Übungen dazu: summen, brummen, kauen, seufzen
– gähnen mit geschlossenen Lippen und ein rundes ‚m‘ lauten
– Mmmmmh-Klang-Varianten testen mit gedachter, heißer Kartoffel im Mund, vibrieren lassen, so dass Lippen und Nase kitzeln…
Artikulation:
Dazu gibt es hier einen eigenen Artikel mit Hintergrundinfo und ein paar Übungen (inklusive der erwähnten „Pleuel-Übung“).
Vielen Dank an alle fürs Mitmachen heute!
Wer mehr davon möchte, ist herzlich eingeladen zu einem meiner Kurz-Workshops am Abend, die ich ca. 1x/Monat in Beuel anbiete mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Alles Gute,
Almut Schnerring
Links:
- Anke Engelke im Studio: „Der Alte Säufer kann ein bisschen Obst vertragen„
- Video-Tipp von @ScottyTM, Suzy Jackson im Studio: „How audiobooks are recorded„
- Erste Hilfe bei akuter Heiserkeit: Blubbern
- Sprecherziehung mit dem Maulwurf von René Marik
3. Session auf dem #bcbn18 nun Stimme, Sprache, Sprechen von@4ohren pic.twitter.com/W2EgF6EjfK
— Leonie Müller (@seiachtzehn) 24. Februar 2018