#vonwegenmitgemeint und Glottisschlag

Anlass für diesen Blogartikel ist das Anliegen der 80jährigen Marlies Krämer, die vor Gericht darum kämpft, in den Formularen und Briefen Ihrer Sparkasse als Frau angesprochen zu werden.

#vonwegenmitgemeint1

Bisher soll sie sich bei den Formulierungen „Kontohinhaber“ und „Kunde“ im generischen Maskulinum „mitgemeint“ fühlen. Diese Form gilt zwar als verallgemeindernd, sie ist aber grammatikalisch eindeutig männlich. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband argumentiert hinterlistig, dass ja auch eine Schreibweise, die männerliche Kunden und weibliche Kundinnen benenne, der aktuellen Diskussion nicht mehr gerecht werde, seit das Bundesverfassungsgericht das ‚Dritte Geschlecht’ anerkannt habe. Das Landgericht Saarbrücken, das die Klage in erster Instanz abgelehnt hat, hält am „mitgemeint“ fest, es handle sich hier nicht um Diskrimierung, außerdem sei das „eine historisch gewachsene Übereinkunft“.

„Das war doch schon immer so“

Ob wir in Deutschland dieses ausgelutschte Argument, von dem in Debattierclubs und selbst in Rhetorikkursen für Schüler*innen eher abgeraten wird, von juristischer Seite hinnehmen müssen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Inhaltlich sei nur bemerkt, dass wissenschaftliche Studien längst in unterschiedlichen Settings nachweisen konnten, dass die Verwendung einer ausschließlich männlichen Schreibweise Folgen hat und zwar durchaus diskriminierende:

  • Stellenausschreibungen im generischen Maskulinum halten mehr Frauen von Bewerbungen ab.2

 

  • Im Vorschulalter entwickeln Mädchen und Jungen ein sehr viel breiteres, geschlechtsunabhängigeres Interesse an verschiedenen Berufen, wenn Erwachsene nicht immer nur vom Arzt, Ingenieur oder Automechaniker sprechen.3

 

  • Bittet man Proband*innen, die Namen von Sportlern und Musikern aufzulisten fallen ihnen viel weniger Frauen ein, als wenn auch nach Sportlerinnen und Musikerinnen gefragt wird.4

 

Kund*innen und Kontoinhaber_innen

Vor dem Hintergrund meiner Seminare zu Präsentation und Vorlesen, seien deshalb vor allem zwei Alternativen genannt: die Schreibweise mit Sternchen oder mit Gender_Gap.

Häufigster Einwand: Gut und schön, aber unbrauchbar für das gesprochene Wort.

Die einfache Antwort darauf ist der sogenannte „Glottisschlag“. Es genügt, sich an der Stelle des Sternchens oder Unterstrichs, einen kurzen Stimmlippenverschluss anzugewöhnen, den „Knacklaut“, den wir am Wort- oder Silbenbeginn vor Vokalen sprechen: [ʔ]

Also wie zu Beginn des Wortes Apfel [‘ʔapfl] oder 2x im Wort Osterei [‘ʔo:stɐʔai] oder auch nach mancher Vorsilbe: umarmen [‘ʔumʔarmən].

So werden all jene mit eingeschlossen, die sich bei männlich oder weiblich angesprochen fühlen, beim „dritten Geschlecht“ und sogar jene, für die sich andere noch keine stereotype Schublade oder rosa-hellblaue Farbzuweisung konstruiert haben  😉

 

Übrigens bin ich auch der Meinung: „Gerechte Formulierungen hässlich zu finden, ist kein hinreichender Grund, sie abzulehnen.“ (Artikel von Philippe Wampfler und Manuel Bamert, der erklärt, warum das generische Maskulinum unpräzise ist)

 

Stimmlippen

Zum Abschluss ein Video für jene, die durch Wörter wie „Glottisschlag“ und „Knacklaut“ nicht abgeschreckt, sondern im Gegenteil neugierig werden.

Wer also (noch) nicht weiß, wie es in einem Kehlkopf aussieht, wo dieser ominöse Knacklaut stattfindet, was Stimmlippen überhaupt tun, damit sie Klang erzeugen, und wie es aussieht, wenn sie sich schließen, hier ein tiefer Blick auf genau diese Stelle im Hals  🙂

Viel Spaß

mit Grüßen von Almut Schnerring

 

P.S. Hier der Link zu unseren Workshops zu Geschlechtersensiblem Sprechen und Schreiben

 

(Lautsprecher anmachen nicht vergessen)
Zwischen dem Bild ganz links (hohe Stimme) und ganz rechts (tiefe Stimme) erkennt man z.B. den Unterschied in der Dicke der Stimmlippen.

 


1. #vonwegenmitgemeint ist ein Hashtag auf Twitter, unter dem ich Beispiele sammle, die zeigen, dass das Generische Maskulinum unpräzise ist.

 

2. Domsch, Michel E./Uta B. Lieberum/Roland Hünke: Chancen von Frauen im Bewerbungsprozess. Eine Analyse von 3.400 Stellenanzeigen und eine Telefonbefragung von 140 Unternehmen. I.A.P. Institut für Personalwesen und Arbeitswissenschaft, Universität der Bundeswehr Hamburg 1997.

 

3. Dries Vervecken, Bettina Hannover: Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. In: Social Psychology Nr. 46 (2015), S. 76–92.

 

4. Stahlberg, D., Sczesny, S., & Braun, F.: Name Your Favorite Musician. Effects of Masculine Generics and of their Alternatives in German. In: Journal of Language and Social Psychology, 20(4), (2001), S. 464-469.

 

 

 

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