Mit einer Gruppe aus Lesepaten, Erzieherinnen, Pflegern und Kulturschaffenden habe ich im Dezember ein Tagesseminar zum Thema ‚Vorlesen‘ durchgeführt. Hier ein paar Einblicke.

Was heißt überhaupt „gut vorlesen“? Was gehört dazu?
Schritt 1: Kriterien sammeln
um von einem allgemeinen Feedback, Motto „Joaa, ich fand das eigentlich echt gut gelesen“ zu einer detaillierteren Rückmeldung zu kommen, die konkret weiterhelfen kann. Das A bis Zett des guten Vorlesens:
Schritt 2: Mal hören lassen
und weiter sammeln. Alle haben ein Stückchen aus einem mitgebrachten Buch, Artikel, Zeitschrift vorgelesen und wir haben weiter zusammengetragen, was es braucht, damit eins gerne zuhört. Was lenkt ab, was macht das Zuhören leicht?
Schritt 3: Stimme …
Wer klingt wie und was macht das mit denen, die zuhören? Lässt sich am Stimmklang etwas ändern? Muss das überhaupt? Und was tun, wenn es im Hals kratzt?
- Trinken
- lieber ein Mal richtig Husten, als ständig nebenbei Räuspern. Räuspern reizt und löst oft noch mehr Räuspern aus, schließlich haben die „Schleim“häute ihren Namen nicht umsonst. (Übrigens: Das Wort ‚räuspern‘ kommt vom mittelhochdeutschen ‚riuspern‘ = (im Halse) kratzen)
- Den Hustenreiz wegsprechen. Weitersprechen und den Frosch mit voller Stimme „abschütteln“
Funktioneller Übertrag
Hohe Muskelspannung oder Räuspern ist nämlich ansteckend (sog. „Funktioneller Übertrag“ oder „Funktioneller Nachvollzug“). Das heißt, wer konzentriert zuhört, ahmt unbewusst die Muskelarbeit der/des Sprechenden nach. Ähnlich wie sich die Atmung und der Herzschlag beim Publikum eines Konzertes ähnelt, weil sich alle auf dieselbe Musik einlassen. Wenn also die Vorleserin einen Frosch im Hals hat, kann es sein, ihr Publikum beginnt, sich an ihrer Stelle zu räuspern. Ein Vorleser, der mit starker Anspannung seiner Sprechmuskulatur liest, schafft sich damit unter Umständen ein gestresstes, früh angestrengtes und unkonzentriertes Publikum. Von der Idee her ganz lustig, in der konkreten Situation leider gar nicht. Deshalb ein paar Übungen zur Stimmbildung: von der Körperhaltung (sitzend oder stehend lesen?) über die Atmung, zum Summen, Brummen, Tönen und Klingen.
Schritt 4: … und Artikulation
Ein paar Übungen und Hintergrundinfos zum deutlicheren Sprechen, wir haben gemeinsam an Lauten, Sätzen und Zungenbrechern geübt (-> Tipps zur Aussprache)
Schritt 5: Intonation
Wie betont man denn eigentlich? Welche Mittel haben wir dazu zur Verfügung? Und welch unterschiedliche Vorstellungen davon tragen viele seit dem Deutschunterricht mit sich herum, als die Lehrerin sagte: „Betone doch mal mehr!“ Ist weniger mehr? Oder hilft viel viel? Oder ging es der Deutschlehrerin nicht eher um den Subtext (s.Schritt 6)?
- Andere Betonung = andere Satzbedeutung
- Betont wird, was für den Hörer / die Hörerin neu ist.
- Eine Betonung pro Sinneinheit.
- Je mehr Information ein Wort enthält, umso wahrscheinlicher wird es betont.
- Das letzte mehrerer betonter Wörter im Satz bekommt den Hauptton.
Schritt 6: Subtext
Wird die Botschaft zwischen den Zeilen vergessen, klingt der vorgetragene Text langweilig und das Publikum muss selbst herausfinden, ob das Gelesene ärgerlich ist, oder doch eher anzuzweifeln? Oder ist es amüsant, oder vielmehr erstaunlich? Wer sein Publikum damit beschäftigt, sich den Sinn eines Textes selbst zu erarbeiten, wird also schnell seine Aufmerksamkeit verlieren. Das Bild im Kopf, das Kopfkino kann erst dann scharf und detailreich werden, wenn auch die Person, die vorliest, ein Bild vor Augen hat, und weiß, was sie vermitteln möchte. Das lässt sich schon an einem einzigen Wort oder Ausruf üben:
„Ach so!„ klingt auf eine bestimmte Weise, wenn Frau Föhr es höflich sagt, während Herr Hoist ihr etwas erklärt, das sie doch sowieso schon weiß. Es klingt aber ganz anders, wenn er ihr etwas zuflüstert, das sie unheimlich spannend findet. Und es klingt noch einmal anders, wenn er sie auffordert etwas zu tun, sie aber völlig ratlos ist, wie sie es umsetzen soll.
Schritte zwischendurch
Und neben all diesen Punkten haben wir diskutiert: Welche Bücher eignen sich zum Vorlesen? Was ändert sich, wenn das Publikum aus Kindern besteht? Mit Mikrofon lesen, wenn die Gruppe groß ist? An einem Tisch sitzen oder im Stehen lesen? Aus einem Buch oder von einem Blatt? Welche Hilfszeichen erleichtern das Lesen?
Fazit: Ein Tag ist prima, um reinzukommen, eigenen Angewohnheiten auf die Schliche zu kommen, Feedback von anderen zu erhalten. Er ist zu kurz, um sich mit mehreren Texten und für verschiedene Zielgruppen auszuprobieren, aber er liefert viel Inspiration und Anhaltspunkte, um sich selbst weiter mit dem Thema Vorlesen zu befassen.
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Als 3 Stunden-Workshop, als 1- oder 2-tägiges Seminar
Kontakt: mail – ät – training-bonn – punkt – de